Rheinische Post

Briefwechsel als Geschichtsunterricht

Von Christian Hensen

Das war Geschichtsunterricht der besonderen Art: Zwei Tische stehen nebeneinander auf der Bühne. Swing-Musik ertönt. Am linken Pult nimmt der nach Amerika emigrierte Jude Max Eisenstein, am rechten der nach Deutschland zurückgekehrte Martin Schulze Platz. Beide sind enge Freunde, die mit einer gemeinsamen Galerie in San Francisco zu Wohlstand gekommen sind. In den folgenden 70 Minuten werden sie aus ihren Briefen lesen, die sie einander von 1932 bis 1934 schickten. Der Briefwechsel dokumentiert das tragische Zerwürfnis einer Freundschaft zur Zeit des Nationalsozialismus.

Wir befinden uns in der Aula der Bischöflichen Marienschule. Rund 200 Schüler der Oberstufe verfolgen die szenische Lesung des Romans „ E m p f ä n g e r  U n b e k a n n t “ von Kathrine Kressmann-Taylor, einer amerikanischen Autorin, aus dem Jahr 1938.

Max wird gespielt vom preisgekrönten Kabarettisten Klaus Huber, der seit 1979 in der Künstlergruppe Ars Vitalis wirkt. In die Rolle des Martin schlüpft der Schauspieler Wolfgang Müller-Schlesinger, der fürs Düsseldorfer Kom(m)ödchen tätig war. Der jeweils Lesende wird vom Scheinwerfer erhellt, der andere bleibt im Dunkeln.

In den ersten Briefen bekunden beide gegenseitig ihre Freundschaft. Doch mit der Machtergreifung Hitlers wechselt die Tonlage. Martin, welcher der Naziideologie immer mehr verfällt, entgegnet seinem jüdischen Freund mit den Worten: „Ich war dir nicht wegen, sondern trotz deiner Rasse gewogen.“ Die Freundschaft zerbricht.

E m p f ä n g e r  U n b e k a n n t

Enttäuscht und verzweifelt bittet Max den Briefpartner, wenigstens seine Schwester Griselle zu beschützen, die als Theaterschauspielerin nach Berlin reisen wird, und mit der Martin einst eine Affäre hatte. Einen Brief, den Max seiner Schwester geschrieben hat, erhält er später mit dem Vermerk zurück: „ E m p f ä n g e r  U n b e k a n n t “. Sie musste sterben, weil Martin ihr keinen Unterschlupf vor den Nazis gewährt hatte.

„Das Stück hat 70 Jahre nach seiner Entstehung eine beklemmende Aktualität“, sagte Schulleiter Wilhelm Oberdörster auch im Hinblick auf den 9. November. Und Irmgard Tophoven, Vorsitzende des Fördervereins für ein Haus der Begegnung mit der jüdischen Kunst, Kultur und Geschichte in der Euregio, welche die Lesung in der Marienschule initiiert hatte, befand: „Das ist lebendiger Geschichtsunterricht, wie er besser nicht gemacht werden kann.“ Das bestätigten übrigens auch anwesende Schüler: „Genial“, fasste Felix Knoblauch seinen Eindruck in Worte.

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