Wie die Menschlichkeit auf der Strecke bleibt
Von Inge Kracht
Gemeinde Grefrath 60 Jahre nach Kriegsende ging in zufälliger Gleichzeitigkeit am Donnerstagabend in Grefrath und New York die Geschichte
Mit Volksempfänger auf der einen und moderner Kunst auf der anderen Seite definierte das Bühnenbild die beiden Orte der Handlung. Links die New Yorker Galerie, aus der Max Eisenstein dem nach Deutschland zurückgekehrten Freund Martin Schulse seine Briefe schickt. Rechts das Arbeitszimmer auf Schloss Rantzenburg in München, in dem Martin, immer mehr vereinnahmt vom Hitler-Regime, dem jüdischen Freund schließlich jeden Schriftverkehr untersagt. „Wir sind keine Freunde mehr“. Die absolute Stille im Publikum ist Seismograph für die tiefe Konzentration, mit der es dem szenisch dargestellten Briefwechsel folgt. In der exzellenten Personifizierung der Freunde durch Wolfgang Müller (im braunen Anzug mit Nazihaarschnitt) und Michael Meierjohann (im Lackschuh-mit-Fliege-Künstleroutfit) tut es beinahe weh zu erleben, wie gnadenlos und brutal sich der sympathisch auftretende Martin in seiner Entwicklung der Jahre 1932 bis 34 vom liberalen Weltbürger zum deutschen Nationalisten über alle Regeln der Freundschaft und Menschlichkeit hinwegsetzt. „Würde das heute genauso passieren? Würde es mir passieren?“ Diese Fragen stehen stumm im Raum.
Ohne Pathos gelingt dem Duo die Darstellung des dramatischen Höhepunkts. Deutlich wird eine menschliche Katastrophe in Martins Brief, in dem er den Tod Griselles, Max geliebter Schwester, rechtfertigt, mit der ihn einst eine leidenschaftliche Beziehung verband und die er nun aus Angst um das eigene Leben in die Hände der Nazi-Schergen spielte. Gefangen von der brutalen Dramatik verfolgte das Grefrather Publikum die geniale, rein verbale Rache von Max.
Langer Schlussapplaus dankte den ausgezeichneten Künstlern für ihre einfühlsame Darstellung.